«Für das Unspunnenfest 2017 muss ich noch drei komplette Trachten nähen. Das wird knapp, aber es wird fertig», erklärt Trachtenschneiderin Malou Balmer (69) in ihrem Atelier an der Unteren Bönigstrasse, Interlaken. Seit 2003 im Ort wohnhaft, habe sie bereits vor dem Unspunnenfest 2005 eine hektische Phase erlebt. Balmer: «Damals verschob man das Fest wegen des Hochwassers auf 2006, und ich dachte, nun hätten alle Leute ihre Tracht. Doch auch 2006 wurde es wieder gleich stressig.» Sie nehme es gelassen; immerhin habe sie dreissig Jahre Erfahrung im Trachtenschneidern und nähe sehr gern von Hand, so Balmer.
Fünfzig Arbeitsstunden
«An einer Tracht wird fast alles in Handarbeit gefertigt, nur die Stäbli im Mieder steppt man mit der Nähmaschine ein», erklärt Balmer und zeigt eine Berner Sonntagstracht, an der sie etwa fünfzig Stunden gearbeitet hat. Der Arbeitsgänge sind viele: Den Stoff zuschneiden für Mieder, Bluse, Jupe und Schurz; Fächli mit Seitensatin auskleiden, schwarze Spitze aufs Mieder nähen oder es mit Blumen besticken.
Das Mühsamste sei, die Häkchen ins Mieder einzunähen. «Genauigkeit im Detail ist mir wichtig. Ich mache fast alles allein, doch vor dem Fest braucht es helfende Hände», so Balmer. Sie habe eine ‹gute Fee› vom Hasliberg, die die aufwendigen Hohlsäume der Blusen stickt; zwei Freundinnen säumen die Kleider.
Interlakner Edelweisstracht
Um die Ehrendamen am Fest er-kennbar zu machen, hat Balmer im Auftrag des Unspunnenvereins eigens die Interlakner Edelweisstracht entworfen. «Diese ist funktional, praktisch und mit 800 Franken preiswert», sagt Balmer.
Doch wurden unerwartet kritische Stimmen von Trachtenleuten laut: «Man sagte etwa, die Edelweisstracht sei nur ein Dirndl und verdränge die traditionelle Tracht.» Dies sei jedoch nie die Absicht gewesen; die Edelweisstracht diene nur dem aktuellen Anlass und Zweck. «Auch bei den Jodlern gibt es übrigens immer mal wieder neue Töne», meint Balmer.
Trachten früher und heute
Wie viele Trachten sie pro Jahr näht, kann Malou Balmer nicht sagen: «Ich habe aufgehört zu zählen.» Die siebzig Trachten des Kantons Bern, deren Beschreibungen in den Statuten der Bernischen Trachtenvereinigung verankert sind, blieben gleich, ebenso die Arbeit daran. Verändert habe sich jedoch die Qualität der Stoffe: «Früher war etwa der Samt dichter gewoben und dadurch langlebiger», weiss Balmer. Immerhin halte eine Tracht auch heute noch etwa sechzig bis siebzig Jahre.
Balmer liebt es auch, alte Trachten neu aufzufrischen, etwa wenn eine Grossmutter ihr Prachtstück der Enkelin vererbt. «Meine Kundschaft ist querbeet. Besonders freut es mich, wenn die Jugend aus Kinderchören und Trachtengruppen sich bei mir einfindet», sagt Balmer und ergänzt: «Anlässe wie das Unspunnenfest tun gut, damit wir unsere Traditionen und unsere Identität nicht verlieren.»
An den Festtagen wird Balmer helfend zur Verfügung stehen: «Ein Riss oder ein Flecken im Kleid, ein verlorener Knopf oder abgerissene Säume: Im Geschäft am Höheweg biete ich einen Pannendienst mit Soforthilfe für Trachtenleute an.» Am Fest will die Trachtenschneiderin zudem ihre eigenen Trachten ausführen: «Zur Auftischete am Montagabend trage ich die unkomplizierte Waadtländer Tracht; am Galaabend und am Jodlerkonzert ziehe ich die mit Blumen bestickte Münger-Festtagstracht an.»
Trotz Festtagsstress sieht Malou Balmer Licht am Ende des Tunnels: «Per 30. September übergebe ich mein Trachtenatelier in jüngere Hände. Eine junge Trachtenschneiderin aus dem Emmental wird, gemeinsam mit einer Damenschneiderin, ein Atelier auf dem Bödeli eröffnen.» Sie wolle endlich Zeit haben für ihre Hobbys wie etwa Reisen oder Fischen.
«Was von meinem Beruf bleibt? Ich werde weiterhin für Kundinnen Mieder besticken», so Malou Balmer. (Berner Oberländer)
Erstellt: 12.08.2017, 13:04 Uhr