Kleben statt nähen im OP – Klebe wohl, mein Herz

Hannover. Am Anfang war der Wurm. Das Geschöpf namens “Phragmatopoma californica“ ist wenige Zentimeter lang, lebt an der Küste Kaliforniens und lässt sich kaum blicken. Dafür arbeitet es fleißig: Das Tierchen baut Wohnröhren aus Muschelsplittern und Sand, die es im Wasser mit einem selbst produzierten Spezialkleber zusammenkittet.

Diese “Wunderspucke“ des Sandburgenwurms ist es, die Forscher seit Jahren fasziniert. Die biologische Proteinmasse hat nämlich Eigenschaften, die chirurgische Eingriffe erleichtern könnten: Sie ist belastbar, wasserabweisend und ungiftig. Vor rund zehn Jahren hat der US-Forscher Russell Stewart von der University of Utah begonnen, nach diesem Vorbild einen “Knochenkitt“ zu entwickeln.

Knochenkitt und Gewebekleber

Es gibt aber noch weitere Versuche, das Sekret zu imitieren. Ein Team von Wissenschaftlern, darunter die angehende Münchner Kinderkardiologin Nora Lang, hat einen Gewebekleber entwickelt, der unter anderem in der Herzchirurgie nützlich sein könnte: ein wasserabweisender Stoff, der sich innerhalb von Sekunden durch Licht aktivieren lässt. Er trägt den Namen HLAA (Hydrophobic Light-Activated Adhesive). Bislang wurde der neue Kleber erst im Rahmen von Tierexperimenten getestet. Da die Ergebnisse aber vielversprechend waren, hält es Lang für denkbar, dass der Stoff innerhalb der nächsten fünf Jahre zugelassen wird.

“Ursprünglich war das Ziel des Projektes, eine neue Technik zu entwickeln, um Löcher am Herzen zu verschließen“, berichtet die Ärztin, die in der Klinik für Kinderkardiologie und angeborene Herzfehler des Deutschen Herzzentrums München angestellt ist. Bislang müssen solche Defekte unter Umständen im Rahmen einer Operation am offenen Herzen verschlossen werden. Das bedeutet einen großen Eingriff, der mit Risiken verbunden ist. Dabei wird über den Defekt ein Flicken genäht. An den Nahteinstichstellen kann es zu Nachblutungen kommen, die die Operationszeit verlängern können.

Der Sandburgenwurm mischt Sand, Muschelkalk und einen selbst produzierten Klebstoff zu extrem haltbarem BaumaterialDer Sandburgenwurm mischt Sand, Muschelkalk und einen selbst produzierten Klebstoff zu extrem haltbarem Baumaterial

Der Sandburgenwurm mischt Sand, Muschelkalk und einen selbst produzierten Klebstoff zu extrem haltbarem Baumaterial.

Quelle: University of Utah/Fred Hayes

Um solche Eingriffe zu vereinfachen, kam Lang auf den Gedanken, Löcher oder Wunden mit Gewebepflaster zu verkleben – eben so, wie man ein Loch in der Hose mit einem selbstklebenden Flicken repariert. “Die Klebekraft der bisherigen Patches war aber zu gering“, sagt die Ärztin. Im Rahmen eines Aufenthalts an der Harvard Medical School in Boston stieß sie in der medizinischen Literatur auf Berichte über das Sekret des Sandburgenwurms.

Zusammen mit amerikanischen Kollegen entwickelte sie nach diesem Beispiel den neuen Gewebekleber HLAA. Er besteht aus dem Polymer PGSA, das sich aus Glycerol und Sebacinsäure zusammensetzt. “Von seiner Beschaffenheit her ist er ähnlich wie Honig“, beschreibt ihn Lang. Dem Stoff ist ein Photoinitiator beigemischt: Wenn er mit Licht bestrahlt wird, härtet der Gewebekleber innerhalb von Sekunden zu einer flexiblen Schicht aus. Dass der Kleber erst durch Bestrahlung aktiviert wird, ist laut Lang einer seiner Vorteile: “Er härtet dadurch nicht sofort aus. Wurde er falsch aufgetragen, lässt sich das korrigieren.“

Große Hoffnung für die Chirurgie

Heute ist bereits eine große Zahl diverser Gewebekleber auf dem Markt, einige der Substanzen sind chemischen Ursprungs, andere, biologische Kleber können zu allergischen Reaktionen führen. Bei HLAA spricht Lang zufolge derzeit alles dafür, dass er gut vertragen wird. „Wir können aber noch nicht ausschließen, dass der Kleber Allergien auslösen könnte. Aber bei Tieren haben sich keine Anzeichen dafür gezeigt“, sagt die Ärztin. Bisher wurde der Stoff an Schweinen und Ratten getestet. Bei ihnen ist es gelungen, Löcher an der Außenseite der linken Herzkammer mit klebstoffbeschichteten Patches zu verschließen. Außerdem ließen sich Defekte an den Gefäßen direkt, also nur mit Kleber, abdichten.

Die neue Technik hat allem Anschein nach einen weiteren Vorteil, wie Lang erklärt. So haben die Forscher beobachtet, dass die Patches nach einer Weile von körpereigenem Fibrin überlagert werden. „Wir denken, dass Kleber und Patch nach und nach überwachsen und durch körpereigenes Gewebe ersetzt werden“, sagt sie. Nach ein paar Monaten könnte sich der Flicken also komplett aufgelöst haben.

Wenn sich die Erwartungen an den Stoff erfüllen, wäre das ein großer Schritt in der Chirurgie. Damit ließen sich etwa Defekte am Herzen – wie angeborene Löcher in der Herzscheidewand – leichter minimalinvasiv verschließen, was insbesondere kleinen Kindern zugute käme. Auch in der Gefäßchirurgie, könnte man den Kleber anwenden, wie die Wissenschaftlerin sagt. Vielleicht ließen sich damit eines Tages sogar Hirnblutungen stoppen.

Von Angela Stoll

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